„Das ist nicht die Krise der anderen.“ Ein Plädoyer für das Ende der Nicht-Zuständigkeit von Behörden, Konzernen und Büger:innen

Diese Krise ist nicht die Krise der anderen. In medizinischer Hinsicht werden diese Aussage weite Teile der Bevölkerung teilen. Aber auch wirtschaftlich ist es nicht die Krise der anderen. Auch nicht dann, wenn man im Bereich einer Verwaltung arbeitet, die sich nicht zuständig fühlt, man selbst einen krisensicheren Job hat oder Unternehmer in einer krisensicheren Branchen ist: Es ist nicht die Krise der anderen, erstens, weil sich das schnell ändern kann. Und zweitens, weil wir doch alle von den Auswirkungen betroffen sind.

Wie fühlt es sich als Mitarbeitender an, wenn man mitbekommt, wie andere Einheiten an der Überlastungsgrenze sind? Welchen Wert hat das sichere Einkommen, wenn sich die einst so lebhafte Fußgängerzone zur Leerstandswüste verwandelt hat? Was macht das mit uns, wenn sich im Freundes- und Bekanntenkreis die Not ausbreitet und wir begreifen, wie Kurzarbeit, Privatinsolvenz und Grundsicherung Menschen und Familien belastet oder voneinander trennt? Was macht ein Export-Weltmeister Deutschland, wenn alle anderen Länder in einer tiefen, sehr tiefen wirtschaftlichen Krise stecken und keiner unsere Waren mehr abnimmt?

Es ist Zeit! Es ist an der Zeit, dass wir das Ende der „Nicht-Zuständigkeit“ ausrufen! Jeder und jede ist in der aktuellen Situation dafür zuständig, dass wir diese Krise schnell und gemeinsam bewältigen. Mit Nicht-Zuständigkeit belügen wir uns selbst! Es beginnt beim Einhalten der Social-Distance-Regeln. Ebenso wie bei der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Solidarität mit unseren europäischen und transkontinentalen Freundinnen und Freunden. Unsere Welt ist global, das ist gut so und das kann man nicht zurückdrehen.

Und das Ende der „Nicht-Zuständigkeit“ muss auch bei Politik, Verwaltung, Behörden und behördenähnliche Unternehmen endlich eingeläutet werden.

Wie oft habe ich in den letzten Wochen bei Nachfragen gehört: „Dafür sind wir nicht zuständig.“ Der Buchbinder Wanninger hätte seine wahre Freude gehabt. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass diese Krise es bereits bewirkt hätte, dass man öfter ein „Dafür sind wir nicht zuständig, aber wir machen es trotzdem“ als Antwort bekommen hätte. Es mag ja vom Geschäftsverteilungsplan einer Behörde her richtig sein, dass das eine nicht, aber das andere Ministerium schon für etwas zuständig ist. Aber in einer Krise ist das den Menschen draußen sehr egal. Zurecht. Sie möchten lediglich Antworten und Lösungen für Ihre Probleme.

Sie sind es nicht gewohnt, um Hilfe zu bitten

Banken, Behörden, Verwaltungen, Politik, Konzerne – alle haben ein starres Regelkorsett, dass ihnen einerseits Halt gibt, sie andererseits aber sämtlicher Flexibilität und Empathie beraubt. Diese Systeme sind es nicht gewohnt, um Hilfe zu bitten, wenn sie nicht weiter wissen. Oder einfach Zuständigkeiten übernehmen. Aber die Krise ist einfach zu groß, um es sich leisten zu können, bei alten Mustern zu bleiben. Wir meistern die Krise nur im Team.

Ich habe in den letzten Wochen oft gesagt, dass ich Respekt davor habe, dass Bayern so schnell eine Soforthilfe aufgelegt/angekündigt hat. Das hat viele beruhigt. Dass Behörden in kürzester Zeit in der Lage sind ein derartiges Hilfsprogramm aufzusetzen und dann dabei nur zwei Seiten Antragsformular herauskommt, das hat viele überrascht, mich auch. Banken, Behörden, Verwaltung, Politik, Konzerne – sie können also in Krisensituationen doch schnelle Entscheidungen treffen.

Aber, und das stellt sich leider gerade heraus, sie sind nicht in der Lage, in gleicher Geschwindigkeit Bugs/Fehler zu erkennen, zu lösen und sich dann ein Schema zu organisieren, das Folge- und Wiederholungsfehler ausschließt. Dafür ist eine transparente Kommunikation erforderlich, auch und gerade bei Fehlern. Eine Fehlerkultur bei Behörden, die dazu führt, dass Glaubwürdigkeit und Vertrauen gestärkt werden.

Es wäre so einfach. Einfach mal zum Hörer greifen und jemanden ganz unten anrufen. Jemanden ganz unten, der z.B. mit Kreativschaffenden, mit kleinen Einzelhändlern oder Solo-Selbstständigen zu tun hat. Wir sind alle dazu bereit, mal über den Entwurf eines Online-Antragsformulars des Wirtschaftsministeriums drüberzuschauen. Wir sind bereit unsere Meinung dazu abzugeben, Verbesserungen vorzuschlagen, Hinweise zu geben. Behörden müssen sich nur trauen.

Diese Krise ist zu groß, als dass man sie alleine bewältigen kann. Sie ist zu groß, als dass ein Ministerium alles alleine bedenken und bewältigen kann. Sie ist zu groß, als dass es eine Landes- oder Bundesregierung alleine schafft. Es ist die Krise von uns allen. Wir alle müssen uns Hilfe organisieren, wenn wir sie brauchen. Und wir müssen es zulassen, dass man Hilfe für uns organisiert. Die Hilfsbereitschaft und der Zusammenhalt ist da. Man muss sich nur trauen, sie als Privatperson, ebenso wie als staatliche Institution auch anzufragen und anzunehmen.

Und – das ist ein weiteres Thema. Es wäre jetzt an der Zeit, dass die Bundesländer auch ihre Kommunen und Landkreise in die Rettung von Unternehmen, von Einzelhändlern, Gastronomen und Soloselbstständigen einbinden. Denn viele Kommunen in Deutschland haben die finanzielle Ausstattung, um kumulativ zu Bund und Land, weitere finanzielle Mittel zur Rettung ihrer eigenen „systemrelevanten“ Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Dafür haben wir schließlich den Föderalismus. Gemeinden werden eine Strassensanierung, den Neubau eines Bauhofs, die Schulerweiterung oder das neue Bürgerhaus verschieben, wenn sie ihre „systemrelevanten“ Betriebe erhalten können. Aber dafür bedarf es einer Erlaubnis durch die Landesregierungen.

Es geht um so viel. Und das schaffen wir nur gemeinsam. Wir sollten es endlich anpacken.